Neue Ideen für eine Welt im Wandel
Bis nachhaltige Innovationen breite Anwendung finden, kann es ein langer Weg sein. Gefragt sind internationaler Austausch, Vernetzung und Kooperation.
Wie könnte eine Welt aussehen, die Nachhaltigkeit tatsächlich umgesetzt hat? Die Frage ist nicht nur ein Gedankenspiel. Mit den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen hat die internationale Staatengemeinschaft schon 2015 ein Zukunftsbild entworfen, eine Art globalen Masterplan. Die Welt, die die UN-Staaten anstreben, hat Hunger und extreme Armut besiegt, engagiert sich konsequent für Umwelt- und Klimaschutz, fördert Bildung, Chancengerechtigkeit, gute Jobs. Die Sustainable Development Goals (SDG) sind aber nicht nur ein Wunschkatalog, der Zielmarken formuliert, die bis zum Jahr 2030 erreicht sein sollen. Sie beinhalten auch, und das ist ihre Stärke, die Faktoren, die den Weg zur Nachhaltigkeit ebnen, wie Innovationen, grünes Wachstum, Partnerschaft beim Erreichen der Ziele.
Leider haben sich die Rahmenbedingungen in den letzten Jahren verschlechtert. Zuerst kam die Corona-Pandemie, in vielen Ländern verläuft die wirtschaftliche Erholung schleppend. Der Klimawandel wirkt nach wie vor als Krisenbeschleuniger, und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und zahlreiche weitere internationale Konflikte bedeuten schwere Rückschläge. „Die kaskadenartigen und miteinander verknüpften globalen Krisen unserer Zeit bedrohen unsere Nachhaltigkeitsagenda“, bilanziert UN-Generalsekretär António Guterres. Der jüngste Fortschrittsbericht von 2022 fällt denn auch ernüchternd aus. In vielen Handlungsfeldern sind nach anfänglichen Erfolgen wieder Rückschritte zu verzeichnen, bereits Erreichtes steht infrage.
Doch es gibt auch positive Entwicklungen. Und, was entscheidend ist, auch hier lassen sich Kaskadeneffekte feststellen. Beispielsweise bei klimafreundlichen Technologien: Sie sind nicht nur seit Langem wettbewerbsfähig, sie wachsen weltweit mittlerweile auch so rasant, dass die Internationale Energieagentur (IEA) ein „Momentum“ erkennt und prognostiziert: „Die neue Energiewirtschaft entsteht schneller, als viele denken.“
Innovationen für Klimaneutralität
Rekordzuwächse gibt es beim weltweiten Zubau von Solaranlagen, beim Verkauf von Elektroautos und Wärmepumpen, bei den Investitionen in saubere Energien. Der US-Thinktank Rocky Mountain Institute (RMI), der auf den Bereich Nachhaltige Entwicklung spezialisiert ist, spricht von einem „exponentiellen Wachstum“ bei Klimatechnologien. Was lange unmöglich schien, kommt damit in Reichweite – dass die Welt bis zum Jahr 2050 klimaneutral wird.
Das Ziel der Klimaneutralität ist heute breiter Konsens in Politik und Wirtschaft. „Es ist das neue Paradigma“, so beschrieb es der Energieexperte Dr. Felix Matthes, Mitglied des deutschen Nationalen Wasserstoffrats, kürzlich bei einer Veranstaltung des Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses (DWIH) Tokyo. Das hat Folgen, zum Beispiel mit Blick auf die Bedeutung von Wasserstoff. Solange man die Emissionen nur um 80 Prozent senken will, braucht man keinen Wasserstoff. Energieintensive Branchen setzen dann darauf, dass sie die noch verbleibenden 20 Prozentpunkte beanspruchen können. Doch wenn es um 100 Prozent geht, also Null-Emissionen vereinbart sind, führt kein Weg an Grünem Wasserstoff vorbei. „Es geht jetzt nicht mehr nur um Pläne, sondern um Milliardeninvestitionen und die Veränderung von Realitäten“, sagt Matthes. „Wir stehen jetzt an einem Wendepunkt.“ Mehr Ambition beim Klimaschutz wird zum Innovationstreiber, genauso wie der Boom bei den sauberen Energien.
Internationale Energiepartnerschaften
Das Beispiel des Grünen Wasserstoffs zeigt, wie wichtig internationaler Austausch für nachhaltige Innovationen ist. Nach jahrzehntelangen Diskussionen über das Potenzial des Energieträgers wurde es im Jahr 2017 konkreter, als Vorreiter Japan als erstes Land der Welt eine nationale Wasserstoffstrategie beschloss und die stärkere Nutzung Grünen Wasserstoffs zu einem Eckpfeiler der eigenen Klima- und Energiepolitik machte. Weitere Länder folgten dem Beispiel – etwa im Jahr 2020 Deutschland sowie die Europäische Union im Rahmen ihres European Green Deal. In vielen Industriestaaten wird nun der Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur in Angriff genommen; die Industriepolitik setzt wichtige Anreize zur Etablierung des Energieträgers. Auch Schwellenländer wie Brasilien und Indien setzen auf die neue Technologie.
Technologischer und sozialer Wandel
Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU) hat schon 2011 ausbuchstabiert, wie der Weg zur Nachhaltigkeit gelingen kann. Das Gutachten des renommierten Beratergremiums „Welt im Wandel. Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation“ benennt die wichtigsten Punkte: neue Leitbilder, der Aufbau förderlicher Rahmenbedingungen, Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger – und eine „globale Kooperationsrevolution“. Gemeint ist damit auch die Zusammenarbeit jenseits der Nationalstaaten – in Forschung und Bildung, bei Unternehmen und Organisationen, bei Vorreitern und Pionieren des Wandels, sowohl im technologischen als auch im sozialen Bereich. Miteinander ins Gespräch kommen und voneinander lernen treibt neue Ideen und Lösungen voran.
Innovation entsteht aber nicht nur durch neue Technologien. Auch neue Regeln können zum Wegbereiter werden. Der Bundesstaat New York beispielsweise will mit einem „Fashion Act“ Modemarken zu mehr Umwelt- und Klimaschutz verpflichten. Es wäre das erste Gesetz dieser Art in den USA und könnte in der gesamten Branche einen Wandel anstoßen, die sich mit dem Trend zur Fast Fashion in den letzten Jahrzehnten zu einem großen Klima- und Umweltsünder entwickelt hat. Das New Yorker Gesetzesvorhaben greift Entwicklungen in der Europäischen Union auf, die mit ihrem Lieferkettengesetz von Unternehmen mehr Nachhaltigkeit einfordert und damit neue Standards setzt, die zum Motor für innovative Entwicklungen werden können.
Verena Kern